Donnerstag, 16. Oktober 2008

Die Leere ist das Einfache

Der einäugige Prophet half dem alten, einfachen Mann vom Lande seinen Wagen nach Hause zu ziehen. Da lud der einfache Mann ihn zu einem köstlichen Essen bei ihm zu Hause ein. So saßen sie beisammen. Der Mann aß viele Speisen und genoss die Ruhe des Abends. Der Prophet aber fragte: „Warum ist dein Leben einfach?“ Der alte Mann verstand die Frage nicht, zündete sich eine Pfeife an und antwortete: „Es ist ein klares Leben. Vom Morgen an verdiene ich mir meinen Abend.“ Der einäugige Prophet erblickte die Dunkelheit in seinem verschlossenen Auge und sagte: „Mit dem Abend flüchtest du in den Schlaf. Dein klares Leben umschließt nur ein Dunkel, aber du umschließt nicht das Dunkel.“ Der alte, einfache Mann wurde müde und lies Rauchwolken aus seinen Lungen steigen. Sodann nahm er einen Schluck Alkohol und sprach. „Ich verstehe dich nicht. Das Leben bin ich. So geht es mir um mein Leben und abends schlafe ich schlicht.“

"Alter Mann vor Zaun" by Bundesarchiv, Bild 101I-320-0939-15 / CC-BY-SA Quelle: wikicommons

Der Prophet sah den Mann und sah zur Hälfte durch sein verschlossenes Auge in sich hinein. Da nahm er das nun leere Gefäß des alten einfachen Mannes und sprach: „Dein Krug aus Ton ist schön. Denn er umschließt ein Nichts. So fülle es mit Getränken.“ Er stand auf und ging und fasste mit seiner Hand an eine Wand des Hauses. „Dein Haus ist sicher...“ fuhr er fort „...,denn es umschließt das Nichts, so dass du darin wohnen kannst.“ Dann ging er zum alten, einfachen Mann, berührte seinen Körper und sprach: „Dein Körper ist stark, denn er umschließt ein Nichts, so dass du darin leben kannst.“ Der alte einfache Mann blickte auf das leere Gefäß in dem kein Alkohol mehr war. Da verabschiedete sich der einäugige Prophet aber auch schon mit den Worten: „Dein Leben ist gut, denn es umschließt eine Leere.“ Der alte einfache Mann rief störrisch zur Tür: „Und was soll ich mit diesem Leben machen?“ Da war der einäugige Prophet jedoch schon auf dem Weg und die Tür fiel in ihr Schloss. Der einäugige Prophet hatte nie die Leere mit Alkohol gefüllt, so konnte er sie in sich noch sehen. Und damit er sie nie vergesse, hatte er sich das linke Auge zugenäht.

Der törichte Mensch

Der einäugige Prophet traf den törichten Menschen. „Du bist schon gestorben“
rief der törichte Mensch dem Propheten zu. „Du hast Recht“ rief der Prophet
zurück „und mehr noch ich bin noch nicht geboren“ Den zweiten Teil aber hörte
der törichte Mensch schon nicht mehr aus Glück über seine Weisheit. „Du hast
kein Leben, da du nicht dem Genusse frönst“ sagte der törichte Mensch weiter.
Wieder antworte der Prophet: „Du hast Recht und mehr noch ich habe kein
Sterben, denn ich mache nichts und werde nichts.“ Der törichte Mensch fühlte
sich bestätigt. Er fühlte die Weisheit seiner Worte und sprach weiter „Ich
weiß, dass ich recht habe, du brauchst es mir nicht zu sagen. Sei nicht
töricht!“ Da blickte der Prophet in sich selbst und zu dem törichten Menschen
und sprach: „Du hast Recht und du sprichst von dem woran ich leide.“ Der
törichte Mensch aber konnte dem Gespräch nicht mehr folgen. Natürlich hatte er
Recht, damit dass er Recht hatte und schaute den Propheten mit leeren Augen an.
Da hob der Prophet zu seiner Rede an: „Du lebst von dem, woran ich sterben
werde.“

Bald schon hörten die Menschen auf… Sie hörten auf den Propheten… Sie hörten
auf von dem Propheten zu erzählen. Sie waren töricht und hörten nur sich
selbst, wenn sie von ihm sprachen.

Mittwoch, 15. Oktober 2008

Was ist der Prophet?

Und er sprach: Weder denkt der Prophet noch fühlt er. Das was der Prophet ist, ist die absolute Freiheit. Denn er ist Mensch und nicht Mensch geworden. Er ist das verlorene Paradies und die gewonnene Freiheit; eine Dunkelheit, die aus dem Licht tritt, ein in den Körper Eingefallener und aus sich Herausstürmender. Er ist ein Pendel, dass zwischen allen Wirklichkeiten schwingt. Er ist das Leben in vollkommenen Bewusstsein erfasst.

Dienstag, 14. Oktober 2008

Der Prophet als Sein und Nichts

Asketen, zu denen auch einige der Propheten zählen, waren immer bemüht die Grenzen des Lebens auszuloten. Dazu entschieden sich viele zunächst das Leben in seinem Überfluss zu negieren. Sie meditierten Jahre auf Säulen und tranken allein das Wasser, das vom Himmel fiel, versuchten nicht zu schlafen. Das Phänomen der Säulenpropheten ist dabei gut 6000 Jahre alt. Die Überlieferungen scheinen wie Legenden werden aber von modernen Berichten bestätigt. Es geht hier aber nicht darum einer Esoterik das Wort zu reden. Was hier von Interesse ist, soll das Moment der Negation im Leben der Propheten sein. Und so zeugen uns auch die überlieferten Schriften. Die härtesten Asketen sind nicht mehr wirklich lebendig aber auch noch nicht gestorben. Sie sind am nächsten dem Leben, denn sie meditieren wie im Schaukelstuhl fast tot und dann wieder fast lebendig. Die folgenden Zeilen berichten von der Paradoxie, die hinter diesen Versuchen steckt.

"Zwei Menschen handeln für den Propheten. Einer wandert im Reich der Sonne, dem Reich der Körper; der andere sitzt im Schatten einer Persönlichkeit. Der Prophet ist die vollständige Einheit aus beiden. Der Prophet ist die Mitte."
Copyright by Fibonaccie


"Der Prophet ist Teil der Religion, die sich Leben nennt. Dieses Leben aber ist nichts anderes als das Phänomen der Selbstvergegenwärtigung. Er blickt auf das Pendel, das wir sind. Das Pendel zwischen Sein und Nichts; zwischen hier, jetzt un dort und dann. Wir sind hier und wieder verschwunden. Unser Körper bleibt in der Vergangenheit doch mit uns kommt immer ein erneuernder Körper. Uns verlässt dabei stets ein alter Körper. Der Prophet sieht sich als bewusstgewordene Zeit... als das hier und jetzt und nichts und niemals zugleich. Das ist keine Mitte das ist die Wirklichkeit der Realität, die nur im Leben möglich ist. Dieses aber ist keine Realität sondern einzig und allein Phänomen."

"Wir sind ein bisschen mehr als das Nichts und doch auch Nichts, wir sind Wirklichkeit. Wir handeln und fallen ständig hinter unseren Handlungen zurück, dann sind wir diesen voraus und beides und nichts von beidem. Die Identität, die wir sind, fällt nicht erst durch das Gedachte als Vorhandenes in die Welt. Die Religion heißt. "Fraiheit" wir entscheiden uns dafür, wozu wir gezwungen sind. Für das Leben. Der Prophet ist der letzte wirklich freie Mensch und auch der erste Sklave seiner Freiheit.“

„Es gab nur zwei gute Menschen und beide sind im Propheten, der eine ist noch nicht geboren und der andere schon gestorben.“

Zwei Welten.

Der Asket stand auf einer Säule nahe dem Fluss. Sein kalter Atem stieß sich in das Leben. Sein Denken stocherte im Nichts herum. Ohne ersichtlichen Grund schwammen Fische, Steine lagen im Wasser. Umspült von Sein starb der Asket in das volle Leben hinein. Ganz Gefühl und doch Gedanke geworden, stand in ihm nur noch jenes ferne Wissen von sich selbst: von seinen fleischigen Überbleibseln, seinem Körper und seinen Begierden, jene schmale Erinnerung gewesen zu sein, mehr nicht.

Jene schmale Erinnerung gewesen zu sein... Die Welt hatte ihn damals stumpf gemacht. Die Farben blendeten seine Augen. Die Geräusche der (Wasserfälle, Donner, Grillen, Grasswachsen) alles lies ihn ertauben. Das Essen stumpfte seine Geschmackssinne. Und immer noch: Die Gedanken hielten seinen Geist gefangen. Sein heißes Verlangen nach Leben trocknete ihm sein Herz aus. (Vgl. Laotse: Tao Te King S.24)

Da fiel nun der Regen auf seinn Körper. Jener unatembare Raum, trinkbar mehr nicht. Da schwammen die Fische durch das Wasser ohne ersichtlichen Grund. Das Wasser im Fluss; es floss zum Meer. Das Meer lag tiefer dem Fluss. Die Bäume gruben langsam ihre Wurzeln in das Flussufer. Die Luft drückte auf seinen Brustkorb. Jenes Atembare drang in seinen Leib, wie Gewürm fraß es sich in ihn – sein Leben.
Seit Jahren nun hatte er nicht mehr geschlafen. Die Welt hatte in ihm ihre Augen geöffnet. Die Welt hielt in ihm ein Auge offen. Mit ihm war die Welt zur Welt gekommen. Da nahm der einäugige Prophet Nadel und Faden und schloss eines seiner Augenlider für immer.

Der neue Prophet, zuvor geblendet von seinen Augen, schloss mit Nadel und Faden ein Augenlid. Ein Blick, nach innen, ein Blick und außen, so trennten sich von nun in ihm zwei Welten. Er blickte nun in seinen Schatten hinab und ein atmender Abgrund stieg in ihm auf und ihm quoll die Erkenntnis. Dieses war der Beginn der zwei Welten.

Samstag, 11. Oktober 2008

Die Sprache der Welt

Der Prophet spricht von der Welt, indem die Welt mit dem Propheten spricht. Sofern durch ihn aber die Welt redet und er schweigt, ist der Prophet selbst nur das Mundstück eines noch größeren Mundstückes. Im Gegenteil die Welt muss schweigen, wenn der Prophet schweigt und die Welt muss sprechen, wenn der Prophet spricht. Die Welt muss im Einklang ihres Wesens des Denkbaren im Schweigsamen sein. Im Folgenden ist ein Zeugnis überliefert vom Unklang der Welt mit dem Propheten. Die falschen Wege, die Täler muss auch ein Prophet durchschreiten:

"Abermals stand der einäugige Prophet am Wasser und wartete. Da kamen die Fische und fragten ihn: „Warum wartest du?“ Der einäugige Prophet aber sagte: „Seid leise! Fische können nicht reden.“

Also sprach der einäugige Prophet



Bevor wir beginnen, die große Geschichte vom einzigen, vom wahren Propheten zu erzählen, sollten wir noch einige Dinge klären, die in unserem Abendland schon in das Blut des Denkens eingegangen sind. Wir sind so fern von dem Gedanken des Propheten, da wir bereits ein systematisches, ordnendes Geblüt besitzen, das alle Welt in den Bannkreis der Begriffe zerren will. Wir werden aber seine Worte nicht im Leisesten verstehen, wenn wir sie denken, denn selbst wenn die Stille uns umgibt, so wettert dort doch noch eine innere Stimme, die alles in Worte transformiert. Mit dieser Stimme sind wir so gewohnt die Dinge beim Namen zu nennen, obwohl wir nicht wissen, was genau diese Namen bezeichnen. Mehr noch wir glauben, wir hätten da Gegenstände im Sinn. Gefühle, Verstand, Liebe, Hass, Freundschaft, Sein, All, Welt, Erde, Tische, Stühle, Geld, sind diese ganzen Dinge real? Nun könnten wir versuchen sie zu ordnen, aber wir würden schon den falschen Weg einschlagen und nicht den Weg des Propheten gehen.

Bleibt uns also nur das Schweigen?

Schauen wir in die überlieferten Schriften des einäugigen Propheten, so mag es andere Wege geben. Das erste mal taucht der Begriff des Schweigens in der übertitelten Geschichte "Vom Guten Meister und den schlechten Menschen" auf:

"Der einäugige Prophet auf seinem Weg durchwanderte alle bekannten Schulen. Schließlich in der letzten Schule traf er den guten Meister. Dieser begrüßte ihn und sie setzten sich an eine kleine Feuerstelle. Der gute Meister trank eine Tasse Tee, der einäugige Prophet aber fragte ihn bestimmt: „Was wäre ein guter Meister, wenn es keine schlechten Menschen gäbe?“ Der Meister streifte seinen grauen Bart überlegte, stellte besonnen die Tasse zu Boden und antwortete: „Wohl wahr! Er wäre nutzlos.“ Da schmerzte die Wunde am Auge des Propheten. Sein zugenähtes Auge vergoss Blut in ihn hinein. Er dachte lange nach bis er schließlich eindringlich sprach: „So will ich für euch der letzte schlechte Mensch unter allen guten Meistern werden.“ Der gute Meister streifte erstaunt seinen weißen Bart, der einäugige Prophet aber war schon auf seinem Weg. „Wie ist dein Name?“ rief der gute Meister in seiner Verzweiflung hinterher. Der einäugige Prophet aber ging schweigenden Schrittes davon. Sein Name, der genannt werden kann, wäre nie sein ewiger Name gewesen. Er aber wollte über seine Sterblichkeit hinaus nun auch der letzte schlechte Mensch werden und für immer bleiben, damit alle anderen Menschen gut sein können."

Das Schweigen kommt aus einer Frage, die letztlich in ihrer Antwort eine Entscheidung bergen würde. Die Entscheidung für das System des Propheten ist eine Ethische bezüglich aller Erkenntnisse aber hüllt er sich ins Schweigen.

Deuten wir desweiteren einige wenige Aphorismen, die uns überliefert sind aus dem großen Schatz seiner Reden:

"Das menschliche Leben selbst ist sich das Fernste."

Sich rein in das Leben zu bringen, ist für den Propheten Aufgabe. Der Prophet wird sich, wie wir nun schon festgestellt haben im Schweigen gerecht.

"Aber wo ist Schweigen, wo nicht die Frage des Menschen zugleich im Raume schwingt"

Das Leben des Menschen bringt Schweigen nur dann, wenn zugleich seine Frage dieses Schweigen in sich birgt
.
"Doch schon von Gedanken und Gefühlen zu reden, ist weltfremd."

Nur in der Frage kann das Gefühl Gedanke sein und der Gedanke Gefühl. Jegliche Trennung trennt den Menschen in sich selbst. Selbst wenn uns heute das Gefühl nahe steht, es ist doch schon ein in Gedanken gestütztes Systematisieren. Es steht fest reine Gedanken oder reine Gefühle lassen sich nicht erzwingen.

"Manche Menschen sind in ihrem Körper gelähmt, um über ihre Wirklichkeit hinaus zu wollen, bleiben aber bis zu ihrem Tod in sich verschlossen."

Für den Propheten ist schlussendlich klar, dass die Welt der Gefühle keine Wirklichkeit besitzen kann. Die Wirklichkeit kann nur in einer offenen Befreiung stattfinden, diese aber ist das schweigende Fragen.

"Wirklichkeit ist nur dort wo Menschen ihre Frage in die Welt tragen, so wie der Geschmack der Nahrung nur im Munde des Geschmacksuchenden, so wie die Farben nur im Auge der Farbsuchenden oder das Gefühl nur in denen die Gefühle suchen. Letztlich aber ist alles nur eine Suche nach Welt, die jedoch nur den Suchenden nach Welt sich offenbart."

"Der einäugige Prophet" ist also ein Zeugnis von der Geschichte eines Suchenden, eines Fragenden und eines Schweigenden. Wir können diesen Gedanken nicht systematisch fassen, da dieser das ganze schon auf einen Teil der Welt beschränken würde, aber wir dürfen Fragen stellen um sogleich in unserer Suche das Schweigen zu lernen.